Ein Gastbeitrag von Frank Neubert. Wer aus dem Stand bei Mama schreckgeweitete Augen hervorrufen will, braucht nur im Beisein der Kinder am Freitagnachmittag vor einem amtlich prognostizierten Hitzewochenende eine harmlose Frage stellen. Etwa derart: Wollen wir auf einen Sprung an die Ostsee, noch mal richtig baden, bevor es Herbst wird?
Jedes noch so abgewogene Gegenargument verdorrt im einsetzenden Freudengeheul der Kinder.
Allein die Vorstellung, sich ins Wasser zu stürzen, wischt alle Bedenken beiseite. Schlagartig setzt Aktivität ein. Ranzen werden in Sekundenschnelle schon für Montag gepackt, aufgeschobene Französisch-Hausaufgaben ohne Murren erledigt. Alles, damit es nur ja schnell losgehen kann.
Das Wohnmobil ist vollgetankt und die Schlaftiere vom großen Urlaub sogar noch drin. Es hat doch alles einen tiefen Sinn. Soviel spontaner Elan stimmt selbst vorsichtige Mütter nachsichtig und wirkt sogar ansteckend. Nach gefühlten 30 Schreckminuten kommt von der planenden Seite der Satz: “Eigentlich gar keine so schlechte Idee vom Papa.”
Eigentlich?
Das ist die Idee. Spontan nach Laune, Eingebung und nebenbei abgehörtem Wetterbericht in der Hälfte des väterlichen Gehirns aufgeploppt, die seit Urzeiten für rasche Entschlüsse zuständig ist. Was dem Vater höchsten Genuss bereitet, sorgt diametral bei der Mutter für Vorformen einer Panikattacke.
Wie ein Navigationsgerät, dass eine neue Route berechnen muss, arbeitet Mamas Großrechner, um möglichst alles Szenarien samt damit verbundener Konsequenzen bezüglich Verpflegung, Kleidung und möglicher Blessuren zu berechnen. Das Ganze ist die wahre Ice-Bucket-Challenge für sonst alles planende Mütter. Die hätten so einen Campingplatz natürlich im Voraus gebucht. Wenigstens 24 Stunden, besser jedoch schon im Februar des Vorjahres. Nicht den Bruchteil einer Sekunde verschwendet der Vater daran, ob es überhaupt einen freien Campingplatz bei seinem angestrebten Ziel gibt.
Zumal man damit rechnen muss, mit dieser Idee nicht allein zu sein…
Während die Mutter im Geiste Schreckensszenarios vom Schlafen auf einem Autobahnrastplatz durchgeht, sieht der Vater maximal eine Übernachtung in der Natur auf alle zukommen, was seine Lust am spontanen Ausbruch nur beflügelt. Das Ganze geht natürlich nicht ohne Tarnen und Täuschen. Denn, obwohl längst überzeugt und bereits Sachen packend, meldet sich die Mutter immer wieder mit lästigen Fragen nach unwichtigen Details wie Fahrtdauer, Öffnungszeiten der Rezeption und Ferienlängen anderer Bundesländer.
Ohne den Hauch eines Zögerns müssen dann die Antworten kommen. Die Fahrzeit wird großzügig nach dem Tempo eines Porsche Cayenne und nicht nach dem des 30 Jahre alten Wohnmobils mit 65-PS-Dieselmotor auf vier Stunden taxiert.
Was soll´s?
Das sind zwar keine reellen Werte, aber die Industrie macht ihre Angaben auch unter Laborbedingungen. Siehe VW. Die Öffnungszeiten der Campingplatzrezeption werden großzügig mit „die werden schon bis 22 Uhr aufhaben“ angegeben. Es kommt natürlich wie es kommen musste. Der erste Pulleralarm und Ruf nach einer Raststätte ertönt nach 30 Kilometern Autobahn. 22 Uhr ist erst die Hälfte geschafft und die Hauptstadt ist gerademal passiert. So gegen eins erscheint dann der Campingplatz langsam auf dem Display des Navis. Schlafen auf der Anmeldespur. Das taten die Kinder bereits seit Stunden, der unschlagbare Vorteil eines fahrenden Häuschens mit Betten, Kühlschrank und „Katzenklo“. Am Nächsten Tag ein kurzer Schreckmoment. Auch der Platz ist voll. Berlin hat noch Ferien. Aber es findet sich noch ein Fleckchen für eine Nacht.
Mehr muss es gar nicht sein. Sonntag geht es ja schon wieder zurück. Beim ersten großen Juhu in den Wellen nimmt der Vater zufrieden die Ovationen und Huldigungen der verzückt planschenden Kinder entgegen. Mama kämpft derweil in der Ostseebrise mit der Strandmuschel von Jackoo. Das hier ist doch was anderes als Omas warmer Pool im heißen Sachsen. Das ist auch kein Waldteich. Das hier ist DIE OSTSEE. Nichts könnte das bei 30 Grad toppen. Was sind die Malediven, Malle oder Gran Canaria gegen das Paradies mit Kiefern, Sandstrand und Dorsch zum Mittag auf Usedom?
Mamas Laune, nach den Schrecken der Anfahrt etwas eingetrübt, verbessert sich zusehends. Und die Eltern müssen spontan lachen als sie beide synchron jeweils einem Eis essenden Kind beim abendlichen Spaziergang zurufen: „Unten lecken. Du musst unten lecken“.
Auch die Heimfahrt entwickelt sich zu einem kleinen Desaster, nachdem der Vater schlau sein und einem auf der Hochfahrt beobachteten Stau an einer Baustelle ausweichen wollte. Statt auf der Autobahn, steht man nun auf einer Waldstraße mitten im schönen Brandenburg zusammen mit tausenden Berlinern, Teltow-Flämingern, Leipzigern und was die Kennzeichen noch so an Herkunft verraten. Dazu kommt noch ein Gewitter mit Hagel und Sturm. Für den Vater der perfekte Ausflug. Mensch und Maschine sind gefordert. Die Kinder kommentieren jeden Blitzeinschlag. Die Mutter schreibt bereits im Geiste Entschuldigungszettel. Aber kurz vor Mitternacht ist die heimische Scholle wieder erreicht. Zum Glück sind die Ranzen gepackt, wobei die Mittlere jetzt mit der News herausrückt, dass irgendwie doch noch was in Mathe zu machen gewesen wäre.
Da heißt es jetzt Mut zur Lücke. Am nächsten Morgen ist der Kleinste ziemlich ratlos. Montags erzählen die Kinder immer, was sie so am Wochenende gemacht haben. „Wie sagt man das, dass man am Wochenende mal so schnell wieder im Urlaub war“, will er wissen. Tja, was sagt man da? „Sagste einfach, dein Vater ist verrückt“, schlägt die Schwester unter zustimmendem Nicken des so Klassifizierten vor.
Genau, schiebt der noch nach, damit bleibst ´de auch bei der Wahrheit. Am Nachmittag gefragt, was die anderen denn nun gesagt hätten, sagt er: So einen Vater hätten sie auch gerne. Darauf der Papa: „Na, sag das mal Mama“. Die ist noch bei der Nachbereitung: „Von wegen vier Stunden Fahrtzeit“. So austricksen lasse sie sich nicht nochmal. Der Vater grinst. War doch ein rundum gelungenes Wochenende. Übrigens. Das schöne Wetter soll halten.
Und der Tank ist auch schon wieder voll.
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