Ein Gastbeitrag von Nele. Dieser Tage erschien im SPIEGEL ein Artikel der sich damit beschäftigte, dass viele Eltern selbst dann einen Kinderarzt aufsuchen, wenn es sich um eher harmlose Infekte handelt. In dem Artikel in der Ausgabe 25 / 18 offenbarte sich, was ich persönlich schon lange Zeit feststelle: viele Eltern sind heutzutage überfordert – das reicht längst über Kinderkrankheiten & Co. hinaus. Aber bleiben wir beim Thema Kinderkrankheiten und dem besagten SPIEGEL-Artikel.
Ganz zu Anfang wird ein fünfjähriger Junge mit dem geänderten Namen Justin porträtiert, der laut dem Nachrichtenmagazin sage und schreibe schon 81-mal bei seiner Kinderärztin war, dazu bei Fachärzten im Wochenend-Dienst und auch in der Notaufnahme. Hierzu heißt es:
„Der Junge hat keine chronische Krankheit, leidet nicht öfter an Infekten als die meisten anderen Fünfjährigen. Doch für seine Eltern ist jedes Räuspern ein Notfall“.
Noch erschreckender ist, wie sich ein Oberarzt der Uniklinik für Kinder- und Jugendmedizin Tübingen gegenüber dem SPIEGEL äußerte. Das Nachrichtenmagazin schreibt über den Arzt folgendes:
„Wenn die Familien dann vor ihm sitzen, fragt Wiechers, was sie denn schon unternommen hätten gegen Fieber und Schmerzen. Meist lautet die Antwort: nichts.“
Und weiter wird Dr. Wiechers wie folgt zitiert:
„Den Nachwuchs mit Fieber und Ohrenschmerzen im Wartebereich ausharren zu lassen, womöglich über Stunden, scheint diesen Eltern sinnvoller, als selbst zum Fiebersaft zu greifen.“
Ein Kollege von Wiechers, Verbandspräsident Fischbach, wird im SPIEGEL folgendermaßen porträtiert:
“Verbandspräsident Fischbach hat eine große Praxis in Solingen, fünf Ärzte behandeln im Quartal 4000 bis 5000 Kinder. Auch er trifft täglich Eltern, deren Aufregung in keinem Verhältnis zum Zustand der Kinder steht. “Der gesunde Menschenverstand spielt keine Rolle mehr” sagt er.”
Tja, keine wirklich schöne Situation. Ich – selbst Mama eines fast siebenjährigen Kindes – habe mir einmal Gedanken darüber gemacht, warum das wohl so ist.
Dazu muss ich ein wenig ausholen.
Vor über zwanzig Jahren, als ich meine Laufbahn als Karrierefrau begann und aus beruflichen Gründen fast immer Single war, war ich eine begeisterte Leserin der damals etablierten Frauenzeitschriften. Von BRIGITTE über COSMOPOLITAN bis hin zu ELLE und FREUNDIN – ich las fast alles, war hier auf dem Markt war. Und stellte dabei fest, dass diese Zeitschriften in Sachen Frauenleben fast immer nur den Kosmos der Singlefrau in den Vordergrund stellten (die freilich eine fantastische Karriere macht).
„Singlefrau mit heißem Lover“, „Urlaubstipps für Singleladys“, „Singlefrauen und der One-Night-Stand“ – in diesem und ähnlichem Tenor waren die meisten Artikel abgefasst.
Das Thema Heiraten und Familie kam in diesen Postillen so gut wie gar nicht vor. Warum ich das alles erwähne?
Nun – ich habe mich seinerzeit in diesem Mist tatsächlich wiedergefunden, fand die Artikel wie für mich gemacht und hielt tatsächlich meine Lebensform – das Singleleben – für das Nonplusultra. Dass um mich herum die Leute alle Familie gründeten und ein eigentlich eher bürgerliches Leben führten, nahm ich nicht weiter wahr und wenn, dann eher mit einem Augenrollen. Ich fühlte mich seinerzeit diesen Leuten irgendwie überlegen – ich die karrieremachende Singlefrau.
Der Sound der Frauenzeitschriften gab mir zudem – so dachte ich damals – voll recht.
Bis ich dann eines Tages selbst Ehefrau und Mutter wurde und die Abos dieser Zeitschriften lange schon gekündigt waren. Denn irgendwann erkannte ich – lange schon, bevor die Medien wegen ihrer ständigen Realitätsferne in die Kritik gerieten – dass das Instand-Single-Lifestyle-Leben, das in diesen Zeitschriften beschrieben wurde, so gut wie gar nicht existiert und die Leute doch eher auf Familien- als auf ein Singleleben setzten.
Insofern war auch ich erstmal ratlos, als es in Sachen Kinderkrankheiten bei meinem Nachwuchs losging. Ich hatte aber das Glück, eine Mutter an der Seite (weil in der Nähe) zu haben, die selbst Kinder zu Welt gebracht hat und sich auf diesem Gebiet top auskannte. Zudem belas ich mich ausführlich zum Thema Kinderkrankheiten und verzichtete weitestgehend auf den fragwürdigen Ratgeber, der sich „Google“ nennt.
Deshalb gelingt es mir bis heute, normale Krankheiten meines Kindes ohne Arzt bzw. mit nur kurzen Doktor-Konsultationen auszukurieren.
Nur – und deshalb habe ich den Schwenk zu den vorherrschenden Frauenthemen gemacht -: die allermeisten Frauen, denen jahrzehntelang durch sämtliche etablierte Frauenmedien eingebläut wurde, dass es chic ist, Karriere zu machen und für den Job männer- und heimatlos durch das Land oder gar die Welt zu ziehen, haben eher keine Mama oder Großmama an der Seite, wenn sie dann selbst Mama werden.
Weil es sie weg gezogen hat von der vermeintlich altbackenen Heimat, weil sie – weil das karriertechnisch angesagt war oder/und erwartet wurde – die ferne Großstadt dem heimischen Kleinstadtkosmos vorgezogen und dort nun Familie gegründet haben. Zumeist hat auch der Partner eine ähnliche berufliche Situation durch und kann deshalb meist selbst nicht mit eigenen Verwandten, sprich: den Eltern, die nun als Großeltern zur Seite stehen könnten, aufwarten.
Die meisten Paare, die vor ihrer Elternschaft eine steile Karriere hingelegt haben, dürften, bevor der Nachwuchs kam, aus beruflichen Gründen das Umfeld gewechselt haben.
Wie gesagt: es galt lange Zeit als chic, für die Karriere nach Berlin, München oder Hamburg zu gehen, nicht selten wurde ein beruflicher Werdegang in der Heimat lächerlich oder verächtlich gemacht – wenn auch meist nur zwischen den Zeilen.
Tja – und nun stehen viele eben da, sie sind Eltern, aber ohne elterliche oder andere verwandtschaftliche Unterstützung in der Nähe.
Zwischenzeitlich hat sich natürlich für genau diese Klientel neues Lesefutter gegründet – so zum Beispiel die BRIGITTE MOM oder Blogs wie das Internet-Magazin Stadtlandmama.
Doch auch hier überwiegt der Sound der Verächtlichmachung gegenüber klassischer Erziehungsmethoden, Müttern, die eher die traditionelle Rollenverteilung mögen und der Mutterliebe.
Das ist irritierend und befremdlich, doch viele Leserinnen und Userinnen scheinen auf genau diese Schiene aufzuspringen. Mir ist ein Artikel bei BRIGITTE MOM in Erinnerung geblieben (online oder offline – gemerkt habe ich mir das nicht), wo es ums Wäsche aufhängen ging.
Und da ja so eine Tätigkeit aus Sicht der fragwürdigen Mama-Magazine so „bäh – klassische Hausfrau“ ist, wunderten mich die vielen Kommentare von Frauen dazu gar nicht mehr. Die waren so in dem Tenor: „Wäsche hängt krumm und schief, aber sie hängt“.
Warum ich das alles erwähne? Weil es für mich einen Zusammenhang gibt, zwischen der mütterfeindlichen Politik, die in unzähligen Frauenmedien ihre willigen Unterstützter findet und dem „abhanden-gekommen-sein“ des gesunden Menschenverstandes von Müttern, die sich scheinbar außerstande sehen, einen kleinen Fieberanfall ihres Kindes selbst zu behandeln.
Wo ständig – selbst in Magazinen, die sich doch an Mütter richten – gegen Mütter mit Herzblut und deren Lebensstil gekeilt wird, ist das halt das Ergebnis.
Natürlich geschieht das dauernde Mütterbashing und die Verächtlichmachung tradioneller Familienmodelle ganz subtil und unterschwellig.
Siehe beispielsweise diesen Artikel aus der BRIGITTE MOM, aus dem purer Hohn gegenüber einer aufgeräumten Familienwohnung, einer gesunden Ernährung für das Kind, dem gemeinsamen Familienurlaub und sogar dem Mutterdasein trieft.
Oder dieser Artikel hier – eines der unzähligen Loblieder auf die Fremdbetreuung.
Solche medialen Ergüsse können durchaus dazu führen, dass es sich für viele Mütter offenbar falsch anfühlt, sich im Vorab oder prinzipiell intensiv mit Mütterthemen zu beschäftigen. Sie könnten ja der medialen Verächtlichmachung der Mutter zum Opfer fallen oder – schlimmer noch – als Helikoptermutter gebrandmarkt werden!
Meine These lautet deshalb: wer sich durch Zeitschriften und Internetportale diesen Schlages in seinem Mütterdasein beeinflussen lässt, der dürfte auch zum Stammklientel des oben zitierten Mediziners gehören.
Getreu dem Motto: „Dieses Problem sourcen wir jetzt mal aus, wir gehen gleich zum Arzt“. Während andere Mamas, die vielleicht im Leben noch nichts von diesen Mama-Ratgeber-Seiten oder -portalen gehört haben, in solchen Situatinen das einzig richtige tun – und erstmal Fieberwickel machen.
Eine Sofort-Maßnahme, die vielen entwurzelten Hipster-Eltern nicht in den Sinn zu kommen scheint.
Da lieber gleich zum (Not)Arzt. Nun ja.
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