Es gibt ja manchmal so sich anbahnende Beziehungen, die ständig voller Drama sind. Die eine oder andere Frau kennt das sicher – und weiß, dass derlei Verbindungen meist nie gut enden.
Auch mir ging das vor Jahren mal so, aber ich hätte kaum auf „Alkohol“ als Verursacher des Problems getippt.
Doch von vorn:
Ich lernte auf einer Party einen charmanten Mann kennen, einen Kreativen – Mark -, damals Ende Vierzig. Er arbeitete als Grafikdesigner für namhafte Kunden und ich war von seiner Arbeit damals schwer beeindruckt.
Wie das so ist – man kam sich über den Abend hinaus näher. Kurz nach unserem Kennenlernen an dem besagten Abend rief er an und bat um ein Wiedersehen. Da der Typ irgendwie das „gewisse Etwas“ hatte, sagte ich zu. Er lud mich stilvoll zum Italiener ein – und ich fing Feuer! Der Abend war total prickelnd, eine erotische Anziehung lag in der Luft, ich ahnte: hier bahnt sich was an!
Noch bevor dieses intensive Date zu Ende ging, verabredeten wir uns erneut, diesmal zu einem Ausflug tagsüber. Als ich wenige Tage später zum vereinbarten Treffpunkt kam, stand er schon da – mit Blumen für mich in der Hand. Ich freute mich, aber dennoch irritierte mich etwas an ihm, an seinem Aussehen….Er sah im Gesicht ziemlich fertig aus, hatte eine rötliche Gesichtsfarbe, feine rote, geäderte Linien zogen sich über seine Wangen. Ich kannte diese Optik, da ich als junges Mädchen, in meiner Ausbildung, mal mit einer schwer alkoholabhängigen, älteren Kollegin zusammen gearbeitet hatte. Ich wusste, was das bedeutet.
Dennoch:
in diesem Augenblick verdrängte ich das total, redete mir ein, dass er sicher nur schlecht geschlafen oder bis in die Nacht gefeiert hat. Klar sagte mein Bauchgefühl was ganz anderes, aber ich drückte es ganz fest weg – ein wenig zu fest wahrscheinlich.
Denn nach diesen ersten Verabredungen wurden wir tatsächlich ein Paar. Obwohl wir nicht in einer Stadt wohnten, sondern einige Kilometer entfernt, sahen wir uns sehr häufig. Hier tauchte dann die nächste Irritation auf: er hatte kein Auto (und wahrscheinlich auch keinen Führerschein, das blieb bis zum Schluss unklar….).
Nicht, dass das für mich irgendwie daneben ist, ich fand es halt nur komisch, weil ich bis dato noch keinen Mann kennengelernt hatte, der kein Auto besaß. Allerdings: dem Fortsetzen unserer Dates tat das seinerzeit keinen Abbruch. Obwohl sich bei der Sache mit dem Auto erneut mein ungutes Bauchgefühl meldete….
Wie schon zuvor ignorierte ich es.
Die Verbindung zwischen uns wurde fester, avancierte zur Beziehung. Da ich in einem Vorort wohnte, musste Mark die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen, wenn wir uns sehen wollten. Das klappte aber durch die rasche Anbindung an die Stadt ganz gut. Häufig fuhr ich auch zu ihm rein und nicht selten verbrachten wir viele Stunden bei ihm ausschließlich im Bett – die erotische Anziehung, die Mark auf mich ausübte, war riesig und auch das faszinierte mich.
Allerdings: in seiner kleinen Küche blieb mir oft die Armada leerer Weinflaschen nicht verborgen, es waren ziemlich viele und der Anblick nicht unbedingt schön.
Ehe sich aber wieder irgendeine ungute Ahnung in mir regen konnte, schaltete ich auch hier wieder in den Verdrängungsmodus, blendete das aus, zumal Mark niemals Alkohol trank – zumindest in meinem Beisein nicht. Und auch nicht danach roch.
Irgendwann jedoch veränderte sich irgendwas – kaum merklich.
Es begann damit, dass Mark an den Abenden, an denen wir uns nicht sahen und lediglich telefonierten, am Telefon ständig Streit anzettelte. Einfach so, aus dem Nichts. Ich könnte heute kaum noch Gründe nennen, woraus diese Streitigkeiten erwuchsen, fakt war aber: es war stets ER, der die Auseinandersetzungen entfachte.
Das endete dann meist damit, dass wir das Telefonat im Streit beendeten und er danach begann, per E-Mail weiter zu streiten. Je später dann der Abend, umso schlimmer wurden die E-Mails, regelrecht von Hass waren sie durchzogen, die Zeilen die mich auf dem virtuellen Weg erreichten. Manchmal viele A-4-Seiten lang, sehr theatralisch und per WORD-Dokument seinen Nachrichten angehangen.
Er entzündete sich an Kleinigkeiten, machte Dinge zum Thema, die völlig nichtig waren. Mal echauffierte er sich über meine Familie, die bei mir gleich nebenan lebte und mit der ich ein inniges Verhältnis pflegte, mal warf er mir aus heiterem Himmel vor, dass ich es versäumt habe „erwachsen“ zu werden (eben aufgrund der Tatsache, dass ich zu meinen Eltern einen so guten Kontakt hatte).
Ich war völlig irritiert, konnte das überhaupt nicht einordnen.
Deshalb war ich es auch meist, die schon kurze Zeit später einlenkte, obwohl sich mir der Sinn des Streits nicht erschloss.
So gestaltete es sich von da an immer öfter: er zettelte – vorwiegend am Telefon – aus nichtigen Gründen Streit an, danach folgten wüste Beschimpfungen per E-Mail, am nächsten Tag versöhnte man sich. Wiederum per Telefon oder auch per E-Mail.
War dieses Gebaren schon belastend genug, begann Mark irgendwann damit, auch während unserer Treffen zu stänkern. Er suchte regelrecht nach Gründen für einen Streit oder rieb sich an ausgesprochenen Nichtigkeiten.
Selbst bei gemütlich geplanten “Liebesabenden” schreckte er nicht davor zurück, Krawall anzuzetteln. Ich erinnere mich, dass er eines Abends – der Kamin war schon entfacht und wir saßen nur in Bademänteln bei mir daheim auf dem Sofa – ausrastete, weil ich einen Schluck Mineralwasser auf dem Teppich verkippte. Keine große Sache und sein Teppich war es ja auch nicht, denn wir befanden uns immerhin in meinem Zuhause. Dennoch rastete er total aus, schrie herum, beschimpfte mich als „ungeschickte Trine“ und warf mit ähnlichen Unflätigkeiten um sich.
Ganz klar, dass auch ich dabei nicht ruhig blieb, so dass der geplante Kaminabend in einen handfesten Streit überging.
Es endete damit, dass Mark sich hektisch in seine Jeans warf und auf seinem Handy herumwischte um ein Taxi ran zu bekommen. Mittlerweile war der Abend ja fortgeschritten und die Rückfahrt via öffentlicher Verkehrsmittel nicht mehr machbar.
Offenbar hatte er Glück, denn nicht mal zwanzig Minuten später hielt ein Taxi vorm Haus und er verließ mich grußlos, um mit dem Chauffeur in die Nacht zu entschwinden.
Später dann folgten E-Mails von ihm, voll mit Beschimpfungen, aber auch mit Liebeserklärungen. Auf mich machte das alles einen wirren Eindruck und stand krass zu seiner beruflich erfolgreichen Karriere, bei der er sich offenbar zusammenreißen konnte.
Mein Nervenkostüm jedoch wurde immer dünner, ich konnte das ewige auf und ab – mal Zuckerbrot, mal Peitsche – nicht mehr aushalten und suchte nach einer Erklärung.
Ich begann, im Internet zu googeln und fand mich mehr und mehr auf Seiten wieder, auf denen Frauen, die mit Alkoholikern zusammen waren, ihr Leid klagten und über solche Situationen, wo der Partner permanent Streit anzettelte, berichteten. Erst schnallte ich gar nichts, doch je intensiver ich mich durch die vielen Postings der Frauen und ihre geschilderten Erfahrungen las, desto mehr begriff ich….!
Eins zu eins – so schien es mir – schilderten diese Frauen DIE Situationen, die ich mit Mark erlebte.
Es kam der Moment, in dem ich mich meinem Bauchgefühl stellen musste – es half nichts! Ich dachte an Marks mit Adern durchzogene – wie Pergament schimmernde – Haut, die Sache mit dem fehlenden Auto und die Batterien leerer Alkoholflaschen, die sich in seiner Wohnung sammelten.
Langsam dämmerte mir einiges. Mark hatte ein Alkoholproblem, war wahrscheinlich schon knallharter Alkoholiker.
„Ist doch klar“ zog meine beste Freundin Heidi ihr Fazit: „der säuft und damit er es vor Dir verbergen kann, trinkt er nichts, wenn er mit Dir zusammen ist – wahrscheinlich würde er dann gnadenlos abstürzen!“. Heidis Meinung über Mark klang einleuchtend.
Sie ging sogar noch einen Schritt weiter und stellte die These auf, dass Mark, wenn er ein, zwei oder sogar drei Tage bei mir war und nichts trank, wahrscheinlich „hippelig“ wurde, weil er auf „Entzug“ war und wieder Alkohol benötigte. Wahrscheinlich machte ihn genau das anfällig fürs streiten.
Wie auch immer – mein Bild verfestigte sich.
Ich beschloss, Mark mit meinem Wissen, meiner Vermutung, dass er Alkoholiker und abhängig vom Alkohol ist, zu konfrontieren.
Schon beim nächsten Telefonat sagte ich ihm das auf den Kopf zu. Er gestand es sofort und bat mich, ihn zu unterstützen, eine Entziehungskur zu machen. Denn laut seiner eigenen Aussage hatte er das schon so lange vor und er wollte mich keinesfalls verlieren.
Allerdings: ich wollte nicht mehr.
Die Maske, die Mark im Laufe unserer Beziehung hat fallen lassen, reichte mir. Ich bin ein harmoniebedürftiger Mensch und die vielen aggressiven Streitigkeiten, seine Beleidigungen, die Ausraster – das war ganz bestimmt nicht das, was ich wollte. Meine Vorstellungen von einer Beziehung zu einem Mann waren andere.
Ich dachte an die Erzählungen und Erfahrungsberichte der Frauen in den Internet-Foren – die meisten der Userinnen dort, so entnahm ich das ihren Postings, waren lange schon an der Seite von trinkenden Männern, von Alkoholikern. Nicht wenige berichteten, wie sie gemeinsam den Entzug durchstehen, einige schafften es, viele jedoch schrieben, dass sie dabei sind, daran zu zerbrechen. Gerade wenn es Rückfälle gab, was häufig vorkommen musste.
Wollte ich das? War meine Beziehung zu Mark so gefestigt, dass ich ihm bei einem Entzug den Rücken stärken – an seiner Seite sein – konnte? War er mir das überhaupt wert – war es diese Beziehung wert?
Ich hörte lange und tief in mich rein – ließ – leider viel zu spät – einzig meinem Bauchgefühl freien Lauf. Die Antwort war glasklar. Dreimal NEIN. Nein, nein und nochmals nein!
Ich schrieb Mark einen Abschiedsbrief. Er tobte in seinen E-Mails, rief ständig an, bat mich, der Beziehung und ihm noch eine Chance zu geben, schwörte, dass er den Entzug schaffte. Zwischenzeitlich wusste ich jedoch, dass er schon einige Entziehungsversuche hinter sich hatte – und hielt an meiner Entscheidung gegen ihn und diese Beziehung fest.
Noch über viele Wochen trafen abwechselnd Briefe und Blumen von ihm ein, ich reagierte nicht.
Ich hatte innerlich so sehr mit ihm und unserer Beziehung abgeschlossen, dass mich das nicht mehr im Geringsten interessierte. Wenn ich ehrlich bin, stieß mich zudem diese Alkoholsucht so sehr ab, dass ich nicht im Entferntesten vorhatte, mit ihm zusammen zu bleiben. Vielleicht auch deshalb, weil es in meiner Familie niemals ein Alkoholproblem gab, mich Menschen, die ekzessiv tranken, prinzipiell abstießen. Obwohl ich natürlich weiß, dass Krankenkassen diese Sucht als „Krankheit“ einstufen.
Wie auch immer. Ich wollte meine Ruhe und hoffte, Mark würde irgendwann aufgeben.
Diese Hoffnung erfüllte sich. Irgendwann, vielleicht ein halbes Jahr später, kamen dann keine Blumen oder Briefe mehr von ihm.
Lange, lange danach erhielt ich eine kurze E-Mail von ihm. Sie lautete: „Gruß von Mark. Bin nach Kanada gegangen. Hab neu angefangen“.
Der Satz berührte nichts mehr in mir. Ich war durch mit ihm und bin heute noch froh, dass die Beziehung damals noch nicht so gefestigt war, dass ich vielleicht hätte ein schlechtes Gewissen haben müssen, dass ich ihm bei seinem Entzug nicht zur Seite stehe.
Wie auch immer – ich kann jeder Frau, die vielleicht ähnliches erlebt, nur raten, hier auf ihr Bauchgefühl zu hören. Von Anfang an! Und dann: die richtigen Konsequenzen daraus zu ziehen! Damit man sich selbst treu bleiben kann – so oder so!
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