Die Pflege in Deutschland – gefühlt immer in Politiker-Munde, immer schon ein Thema und seit vielen Jahren einfach nur abgehalftert, skandalös und wohl auch grundfalsch. Zu diesem Schluss kann man kommen, wenn man sich die Reportage in einer der letzten SPIEGEL-Ausgaben gründlich durchliest.

Oder aber man hat selbst schon Bekanntschaft mit dem zynisch-herzlosen Pflegesystem hierzulande gemacht. Vielleicht, weil die eigene Mutter pflegebedürftig wurde, die Oma an Demenz litt oder der Vater irgendwann ein Pflegefall war.

Wer sich bis dahin nicht mit dem System der Pflege auseinandergesetzt hat, den trifft sie meist wie ein  Vorschlaghammer – die Situation, in der er geraten ist. Das ganze Dilemma – das freilich nicht neu ist – wurde jetzt von allen Seiten in dem erwähnten SPIEGEL-Bericht beleuchtet.

Laut dem Blatt, Ausgabe 5 / 27.1.18, leben aktuell etwa 800 000  Menschen in Deutschland in Altenpflegeheimen. Trotz dieser Situation konstatiert das Magazin:

Deutschland, mit Japan und Italien an der Weltspitze unter den vergreisenden Industrienationen, hat (…) keinen Plan für die Zukunft“

Die Redakteure sind für ihre Geschichte in ein Heim in Bayern gegangen und haben die Situation dort unter die Lupe genommen. Fest steht: am Personal liegt es nicht, das ist zumeist sehr motiviert, warmherzig und engagiert.

Jede Handreichung wird in Euro und Cent umgerechnet

Neben ihrer Haupttätigkeit, Menschen zu pflegen, schlagen sie sich allerdings täglich mit Behördenkram herum, vorgegeben vom peniblen Gesetzgeber hierzulande. Stichwort „Checklisten“. Hierzu schreibt der SPIEGEL:

„Wenn etwas nicht erfasst wurde, ist Ärger mit der Pflegekasse vorprogrammiert, jeder Handgriff ist im deutschen System katalogisiert und hat einen exakten Wert in Cent und Euro. Es werden, während Menschen zu pflegen sind, Erbsen gezählt.“

Passend dazu findet sich in dem Artikel auch folgende, bemerkenswerte Info:

„In Deutschland reichen seit Jahrzehnten öffentliche Ausgaben im Umfang von rund einem Prozent der Wirtschaftsleistung, um eine stetig wachsende Zahl Bedürftiger zu pflegen: Völlig egal, ob zwei Millionen Menschen Unterstützung brauchen wie im Jahr 1999 oder 2,9 Millionen wie 2015 – der staatliche Anteil bleibt gleich“

Völlig klar, dass die Löcher dieses unterfinanzierten Systems von den zu Pflegenden selbst und ihren Familien, den Angehörigen, gestopft werden müssen.

Dienstleistungen für Pflegebedürftige werden so billig kalkuliert wie möglich

Laut dem Nachrichtenmagazin sind die Budgets der Heime so eng kalkuliert, dass in manchen Heimen Windeln und Klopapier rationiert werden. Das Motto ist: jede Dienstleistung muss so billig wie möglich sein, Outsourcing ist Trumpf!

Das vom Staat aufgewandte Geld für die Pflege reicht jedoch nicht im Geringsten aus, im Gegenteil:

„Vater Staat verhält sich wie ein Geizkragen, der mit der Pflege der Alten nichts zu tun haben will“ so schreibt der SPIEGEL.

Einen nicht geringen Anteil daran hat die Blüm-Reform aus dem Jahre 1994. Der feiste Politzwerg, der mit seinem zynischen „Die-Rente-ist-sicher“-Spruch für die Verlogenheit einer immer abgebrühteren Politkaste steht, nahm seinerzeit mit seiner Reform den Staat zu einem nicht unerheblichen Teil aus dem Spiel.

Die Pflege ging teilweise über in den freien Markt. Die Auswirkungen dieser Maßnahme entgehen niemandem, der nur im Ansatz mit diesem Thema in Berührung kommt. Zu großer Marktmacht gelangten nämlich seitdem kommerzielle Anbieter im Pflegebereich – so zum Beispiel Kursana, Pro Seniore & Co.

Kommerzielle Anbieter und Investoren profitieren

Eine verheerende Entwicklung, bei der es um Profit und Kostensenkungen geht – aber kaum wirklich um den Menschen! Wie mit denen oftmals umgegangen wird, zeigt die besagte SPIEGEL-Reportage auf.

Sie beschreibt, wie der Nachtdienst in einem Altenpflegeheim oft abläuft, nämlich so: eine einzige (!) Pflegekraft ist für um die 40, 50 Heimbewohner – ganz allein! – zuständig.

Logisch, dass da nichts dazwischenkommen darf und logisch auch, dass wohl allermeist doch etwas dazwischenkommt. Die Frage, wo hier die Menschenwürde ist, die Warmherzigkeit gegenüber zu pflegenden Personen, stellt sich aufgrund solcher Verhältnisse in deutschen Heimen wohl jeder normal denkende Mensch zu Recht!

Ein Mann, der sich tagein-tagaus mit den Zuständen in der Pflege beschäftigt, ist Claus Fussek, der medial auch schon mal als „Pflegepabst“ bezeichnet wird.

Pflege-Experte spricht in Sachen Pflege von bevorstehener Humankatastrophe

Seine Botschaft ist düster. Im SPIEGEL sagt er:

„Das System der „schlechten Pflege“ in Deutschland werde von „einem Schweigekartell“ geschützt“ Und weiter:

„Wir stehen vor einer der größten Humankatastrophen seit dem Zweiten Weltkrieg“.

Auch eine „tausendfache Menschenrechtsverletzung“ beklagt der „Pflegepabst“ in dem Nachrichtenmagazin. Zudem hat er einen deftigen Vergleich parat:

„Die Pflege sei heute ein Markt, der sich von der Altölentsorgung nicht weiter unterscheidet“.

Claus Fussek wirkt in einem Büro in München. Gegenüber dem SPIEGEL spricht er von 50 000 Fällen, die er dokumentiert hat.

Es geht um Informationen, die ihm vom Pflegepersonal zugespielt werden (beispielsweise über unhaltbare Zustände in so manchen Heimen), Aussagen von Angehörigen, Anzeigen von Familienmitgliedern und um Frauen, die im Pflegeberuf arbeiten, den Glaube aber an ebendiesen Beruf verloren haben. Der „Pflegepabst“ spart nicht mit krassen Worten, die das Alltägliche in der Pflege beschreiben.

„Seit 30 Jahren liegen Leute in ihrer eigenen Scheiße und es kümmert immer noch keinen“.

Dabei hat es in den vergangenen Jahren immer wieder neue Gesetze in Sachen Pflege gegeben – sowohl die jeweiligen Gesundheitsminister als auch Kanzlerin Merkel haben stets vollmundig so getan, als setzten sie alles daran, hier wirkliche Verbesserungen zu schaffen.

Pustekuchen!

Es ist eher ein System der „organisierten Nichtverantwortung“ entstanden, so sagt es die Sozialforscherin Cornelia Heintze.

Deutschland in Sachen Pflege im internationalen Vergleich hinten

Die Fachfrau, die zum Thema diverse Studien erarbeitet hat, fällt im SPIEGEL ein vernichtendes Urteil:

In Deutschland geht es nicht um den konkreten Bedarf der pflegebedürftigen Menschen, sondern um die Geringhaltung der öffentlichen Ausgaben“

Ein Satz, der vor Geringschätzung, die Verantwortliche und Politiker gegenüber pflegebedürftigen Menschen an den Tag legen, nur so trieft!

Aber es kommt noch dicker:

„Im Vergleich mit den hochentwickelten OECD-Ländern unterhält Deutschland eines der billigsten Pflegesysteme“ (SPIEGEL).

Und – dem Nachrichtenmagazin ist auch folgende Meldung zu entnehmen:

„Deutschland liegt auch bei der personellen Ausstattung und vielen anderen Qualitätskriterien im internationalen Vergleich auf den hintersten Plätzen“

„Andere Länder“, so das Blatt, „setzen sogar für eine gleiche Zahl von zu Pflegenden zwei- bis dreieinhalbmal so viel Personal ein wie in Deutschland üblich.“ Als Beispiel werden unter anderem die Niederlande genannt.

In Deutschland indes ist es zumeist so, dass ein Heim, das mehr Pflegekräfte einstellen wollte, die Kosten dafür auf die Bewohner umlegen müsste.

Finanzielle Interessen scheinen zu überwiegen

Bei drei Pflegerinnen mehr im Haus bedeutet das schon 200 Euro mehr für jeden Heimbewohner. Was jetzt schon ein Heimplatz kostet (um 1.600,00 € im Monat) – davon können wohl viele Angehörige von Bewohnern in Heimen ein Lied singen!

Im SPIEGEL kam noch ein weiteres interessantes Thema zum Tragen, das einmal mehr aufzeigt, wie perfide die Gier nach dem schnöden Mammon gegenueber dem Wohl der Pflegebedürftigen überwiegt.

Thema: eigene Ärzte in Pflegeheimen. Das macht ja eigentlich Sinn und völlig Unbeleckte, die mit dieser Thematik nichts zu tun haben, nehmen sicher an, dass in den meisten Heimen ein Arzt angestellt ist. Fehlanzeige – denn: finanziell lohnt es sich für die Ärzte mehr, wenn sie die Heime ambulant betreuen.

Insofern ist es ein ernüchterndes Fazit, zu dem die SPIEGEL-Redaktion kommt und das wohl die meisten Menschen mit pflegebedürftigen Angehörigen in ihrer Mitte nur bestätigen können:

„Die eigentliche Kundschaft, die Gebrechlichen, Alten haben nichts zu sagen und viel zu erdulden“.

Das Magazin kommt zudem zu dem Schluss, dass die wahren Bestimmer und Profiteure in diesem miesen Spiel die Anbieter und Investoren sind. Wie auch aus anderen gesamtgesellschaftlichen Bereichen bekannt, verfolgt die aktuelle Politik hierzulande diese Ausrichtung mit ihrer jeweils eingeschlagenen Richtung sogar noch.

Keine Änderung in Sicht

Das Schlimme: eine Änderung ist nicht in Sicht! Schon jetzt prognostizieren Experten, dass die zusätzlichen Milliarden, die Berlin für die Pflege bereitzustellen gedenkt, nichts bewirken werden.

Dazu der SPIEGEL: „Sie wirken, im Gegenteil, geradezu kindisch angesichts der Herausforderungen, die wirklich bevorstehen.

Dem ist nichts mehr hinzuzufügen!

Bildnachweis: pexels.com

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert