Saskia Esken, BundestagsabgeordneteEin Gastbeitrag von Thomas Rapp. Am 8. März 2019 interviewte Ann-Kathrin Büüsker vom Deutschlandfunk die sozialdemokratische Bundestagsabgeordnete Saskia Esken (im Bild). Den Einstieg bildeten Schülerdemos für den Klimaschutz, und alsbald erweiterte sich das Themenspektrum. Frau Esken erzählte, dass sie ein elektrisches Auto fährt, und fügte gleich hinzu, dass sich dies natürlich nicht jeder leisten könnte. Überhaupt sei der Ausstieg aus dem Individualverkehr das am schwierigsten umsetzbare politische Ziel und die herausforderndste Arbeit. Im Vergleich dazu sei der Ausstieg aus der Kohle geradezu ein Klacks.

Radikale Stimmen setzen sich für Abschaffung des Autos ein

Medienkonsumenten war schon vor dem 8. März freilich nicht entgangen, dass es radikale Stimmen gibt, die sich für die Abschaffung des Autos einsetzen (nichts anderes ist mit dem Ausstieg aus dem Individualverkehr gemeint). Dies waren zwar immer nur einzelne Standpunkte fernab jeder Mehrheit, doch bei Frau Esken klang es am 8. März so, als hätte die Politik dieses Ziel insgeheim längst gefasst und befinde sich schon mitten in der Umsetzungsphase. Dabei steht in Parteitagsbeschlüssen oder Wahlprogrammen kein Wort davon, zumindest nicht bei den Regierungsparteien, zu denen Frau Esken gehört. Der Ausstieg aus dem Individualverkehr ist offenbar auch für Frau Büüsker eine Selbstverständlichkeit. Nachzufragen, ob dies tatsächlich bereits beschlossene Sache sei, und, vor allem, welche demokratische Mehrheit dies beschlossen hätte, kam ihr nicht in den Sinn.

Frau Esken hat in einer Hinsicht Recht: Nichts krempelt die deutsche Gesellschaft so tiefgreifend um, wie der Ausstieg aus dem Individualverkehr. Auf Bus, Bahn und Fahrrad angewiesen zu sein, macht ein Leben außerhalb der Städte unmöglich. Ohne die Auspuffgase von Lastwagen können bestenfalls noch Kleinstädte versorgt werden, die über einen Bahnanschluss verfügen. Der Schulbesuch kann zwar mit Schulbussen organisiert werden, doch der Wegfall der Enkeltaxis lässt Klavierunterricht, Tanzstunde, Fußballtraining oder Nachhilfe für große Teile der Landbevölkerung nicht mehr zu.

Verfallene Orte auf dem Land als Zukunfts-Szenario?

Sie wird gezwungen, nach und nach in Städte mit Personennahverkehr umzuziehen. Eine eigene Wohnung oder gar ein Haus werden sich diese Menschen dort aber nie mehr leisten können, denn durch ihren Bedarf an urbanem Wohnraum steigen Mieten und Immobilienpreise unaufhaltsam weiter. Im ländlichen Raum bleiben dagegen leere Ortschaften zurück, die nach und nach verfallen. Für diese Immobilien gibt es dann auch keinen Markt mehr. Sie sind wertlos. Wirtschaftlich läuft dies auf eine Enteignung hinaus. 

Obwohl Frau Esken einen ländlichen Wahlkreis vertritt, in dem die Menschen auf Individualverkehr angewiesen bleiben, sind ihr solche Aspekte offenbar fremd. Mit 15.000 Euro Monatseinkommen (www.saskiaesken.de/einkuenfte-35) kann sie sich eine Wohnung in einer Metropole zweifellos leisten. Frau Büüsker dagegen wird unverstellt erleben, was der Ausstieg aus dem Individualverkehr für sie als Besitzerin eines Wollschweins (www.radiotage.wasmitmedien.de/2015/das-team) bedeutet: In urbaner Umgebung ist die Haltung solcher Tiere eher schwierig, allein wenn man sie mit der S-Bahn zum Tierarzt schaffen muss. 

Das von Frau Esken heute schon bevorzugte Elektroauto ist keineswegs die klimaverträgliche Erneuerung des Individualverkehrs, sondern markiert dessen Ende. Ein neuer VW Golf mit Benzinmotor kostet derzeit 19.250 Euro. Der E-Golf beginnt mit 35.900 Euro fast beim doppelten Preis und kostet damit bereits so viel wie eine Mercedes-Limousine. In diesem Preissegment wird die Luft bekanntlich dünn. Die Hälfte der Menschen kann sich das Autofahren nach dieser Rechnung nicht mehr leisten, und es ist zufällig jene Hälfte, deren Wohlergehen sich Frau Eskens SPD einst verschrieben hatte.

Wird Elektroauto zum Privileg der Besserverdienenden?

Mit dem Elektroauto wird der Individualverkehr wieder zum Privileg der Besserverdienenden, zu denen sich Frau Esken unumwunden zählt. Ginge es nach den Grünen, beginnt diese Phase wie in Schweden bereits 2030. Ihre rund 75.000 überwiegend gut verdienenden Mitglieder meinen allerdings auch, dass Lebensmittel in Deutschland unverschämt billig seien (Huffington Post am 7. Juni 2016). 4.009.992 Hartz-IV-Empfänger sind in dieser Frage anderer Ansicht. 

Wer grün wählt und hofft, irgendwann würden Elektroautos erschwinglich, zeigt damit, dass er nicht rechnen kann: Die Spitzenleistung sämtlicher deutschen Kraftwerke (90 GW) reicht nur, um 670.000 Teslas mit jeweils 120 kW Ladeleistung gleichzeitig ihrem vierstündigen Ladevorgang zu unterziehen. Während dieser vier Stunden darf in Deutschland sonst keine einzige Glühbirne mehr leuchten, und überhaupt müssten alle Elektrogeräte abgeschaltet sein. Sogar mit einer zehnfach höheren Stromproduktion könnten deutschlandweit höchstens drei Millionen Elektroautos betrieben werden, und dies auch nur, wenn es sich durchweg um wesentlich langsamer ladende Fahrzeuge handelt als die Tesla Supercharger. Derzeit sind in Deutschland 57,3 Millionen Kraftfahrzeuge zugelassen, davon 47,1 Millionen Pkw. Sinkt die Fahrzeugproduktion entsprechend dem Fahrzeugbestand auf nur noch sechs Prozent der heutigen Auslastung, treibt dies den Preis des einzelnen Autos in unvorstellbare Höhen.

Elektroauto als klimaverträgliche Lösung ist pure Heuchelei

Man kann es auch deutlicher sagen: Elektroautos sind heute nur deshalb noch so billig, weil sie von Autos mit Verbrennungsmotoren mitfinanziert werden. Gibt es nur noch Elektroautos, werden sie Luxusgegenstände sein. Auch die Stromproduktion kann nicht einfach verzehnfacht werden. Bereits bei einer Verdoppelung würde der Strompreis in ungeahnte Höhen schießen. Deshalb ist es Heuchelei, das Elektroauto als klimaverträgliche Lösung für den Individualverkehr zu verkaufen. Es ist sein Ende.

Damit tappen die Damen Esken und Büüsker in ihrem Interview naiv in jenen Graben, der die Gesellschaft mehr und mehr spaltet. Auf der einen Seite stehen jene, die sich in unentwegtem Moralisieren eine schöne neue Welt ausdenken, sich aber nicht vorstellen können, dass es womöglich Menschen gibt, die in dieser schönen neuen Welt keine Überlebenschancen hätten. Auf der anderen Seite wächst der Unmut, dass ausgerechnet in einer Demokratie eine neue Welt beschlossen wird, ohne deren Bewohner in diese Pläne einzuweihen oder sie gar zu fragen, wie sie diese neue Welt finden. Sobald die Übergangenen aber ihr verletztes Mitspracherecht beklagen, werden sie flugs als „Abgehängte“ deklassiert.

Stellungnahme von Frau Esken steht aus

Weil dies nicht gerade wertschätzend und respektvoll klingt, entsteht in den so genannten Abgehängten jenes Gefühl, das Menschen wie Frau Esken und Frau Büüsker neuerdings Hass nennen. Frau Büüsker ist Historikerin und Gender-Wissenschaftlerin. Sie hat gelernt, was 1789 aus dem königlichen Satz wurde: Wenn das Volk kein Brot hat, soll es doch einfach Kuchen essen. 2019 lautet dieselbe Logik, dass das Volk einfach Elektroautos fahren soll.

Anmerkung der Redaktion: Bezug nehmend auf das besagte Interview im Deutschlandfunk haben wir Frau Esken am 20. März 2019 angeschrieben, der Inhalt unserer E-Mail lautete wie folgt:

Sehr geehrte Frau Esken,

Bezugnehmend auf Ihr kürzlich geführtes Interview im Deutschlandfunkt mit Frau Büüsker, würden wir gern folgende Fragen beantwortet haben:
Ist der Ausstieg aus dem Individualverkehr seitens der Politik schon beschlossene Sache?
Wenn ja, welche demokratische Mehrheit hat dies beschlossen?
Vielen Dank im Vorab für Ihre Antworten.
Mit freundlichen Grüßen
Linda-Tabea Vehlen(…)”
Bis zum heutigen Tage steht eine Antwort aus. Den Beitrag gibt es hier zum Nachhören (ohne Garantie, wie lange er online ist).
Zur Person Thomas Rapp:
Thomas Rapp ist Autor des Buches “Anwälte – Roman eines seltsamen Berufes”. Mehr dazu hier.
Bildnachweis: (c) dpa

"

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert