Leipzig-Seenland

„Relocation-Service“ – dieser Begriff ist wohl den meisten Menschen schon einmal begegnet.

Was aber steckt im Einzelnen dahinter?

Das fragten wir Christoph Neumann – einen Kosmopoliten aus Leipzig, der einen solchen Service seit einigen Jahren für Mitteldeutschland, in Leipzig, führt. Mit seinem Service werden hochqualifizierten Fach- und Führungskräften beim Umzug nach Deutschland nicht nur administrative Notwendigkeiten abgenommen, auch das Einleben am neuen Standort wird ihnen und den jeweiligen Familien erleichtert.

Warum gerade Leipzig mit seinem Umland voller Seen und grüner Natur (im Bild oben der Copudener See) so viele spezialisierte Fachkräfte anzieht, was Inder über den deutschen Verkehr sagen und warum die hiesige Mülltrennung für Japaner ein Thema ist, erfahren Sie in dem – wie wir finden – hochinteressanten Interview, das Christoph Neumann uns gegeben hat:

FP: Herr Neumann, wie entstand die Idee, sich mit einem Relocation-Service selbständig zu machen?

CHN: Wir haben als Familie 4 Jahre in Moskau und 8 Jahre (mit Unterbrechungen) in Kiew gelebt und gearbeitet. In dieser Zeit stellte ich fest, wie nützlich die aktive Unterstützung durch Einheimische ist.

Diese erklären dem Gast, als solcher muss sich jeder Fremde in einem anderen Land betrachten, die Sitten, Normen und Regeln; auch die ungeschriebenen. Wer eingliederungswillig ist und sich an die Landesgegebenheiten hält wird schnell geachtet und der bekommt bald von Freunden vor Ort Hinweise zur spannenden Freizeitgestaltung und lernt Gegenden sowie Landschaften kennen, die in keinem Reiseführer stehen.

Außerdem habe ich Neuankömmlingen aus dem deutschen Raum, die zur Arbeit nach Moskau oder Kiew kamen, die Städte und die Umgebung in der Eingewöhnungsphase gezeigt. Diese Tätigkeit hat mir und meinen “Kunden“ viel gegeben.

Meine persönlichen Erfahrungen brachten mich auf den Gedanken, REALDOMUS im Jahr 2010 zu gründen. Ziel des Unternehmens ist es, die Wünsche und Bedürfnisse der Fach- und Führungskräfte aus aller Welt zu erfragen und ihnen das Einleben in Mitteldeutschland, unter Beachtung der Gesetze und Gebräuche, zu erleichtern.

Leipzig-City

FP: Leipzig, der Standort Ihrer Agentur, ist seit Jahren schon eine Stadt, in die es viele Menschen aus dem In- und Ausland zieht. Womit punktet „Klein-Paris“ (im Bild oben in einer Impression von oben zu sehen) Ihrer Meinung nach?

CHN: Leipzig punktet erstens durch seine Geschichte. Die Stadt ist seit dem Mittelalter der Kreuzungspunkt von zwei wichtigen Handelsstraßen, der Via Regia (Königsstraße) und der Via Imperii (Reichsstraße). Die Via Regia verbindet Frankreich mit Russland und die Via Imperii Skandinavien mit Italien. Durch diesen Sachverhalt wird Leipzig als Handelsstadt in Büchern und Atlanten weltweit erwähnt und ist somit bekannt. Das ist sozusagen die positive Grundlage.

Auf diese aufbauend kommen zwei wichtige Faktoren der Gegenwart hinzu. Der Hauptpunkt ist die fast perfekt ausgebaute Infrastruktur um Leipzig: Europa-Magistralen, Bahnknotenpunkt, Flughafen und möglicherweise bald auch ein Hafen, der via Elster-Saale-Kanal eine Verbindung an die europäischen Flüsse ermöglicht.

Diese gute Verkehrsanbindung spielt eine doppelte Rolle. Einerseits wird die Anreise aus dem Ausland nicht zu einer zeitraubenden Odyssee und andererseits ist Leipzig hervorragend geeignet, um nahe Ziele wie Berlin, Dresden, Erfurt und Magdeburg sowie den Harz oder den Spreewald in kurzer Zeit zu erreichen. Weiterhin nutzen viele Reisewillige, die hier temporär leben, Leipzig als Ausgangspunkt, um Mitteleuropa zu entdecken. Meine Kunden besichtigen meistens Böhmen, Polen, Ungarn und das Baltikum.

Leipzig punktet zweitens mit seinem Kulturleben und der Seenlandschaft. Die Freizeit- und Sportmöglichkeiten, besonders der Wassersport, werden gern genutzt. Die kulturellen Angebote (Oper, Gewandhaus, Theater, Konzerte, Museen, Zoo) auf hohem Niveau überzeugen selbst die verwöhntesten Geister.

FP: Was für Menschen sind es, die Ihren Service nutzen, aus welchen Ländern und Berufssparten kommen Sie vorwiegend?

CHN: Die meisten Kunden, die REALDOMUS vertrauen, sind weltweit agierende Unternehmen. Die Personalabteilungen dieser Konzerne benötigen Relocater vor Ort zur Unterstützung ihrer “Expats“.

In der globalen Wirtschaft werden so Führungs- oder auch Fachkräfte genannt, die für international tätige Unternehmen, für einen bestimmten Zeitraum (1–3 Jahre), in einer ausländischen Zweigstelle dieser Firmen arbeiten.

Wenn man bedenkt, wie aufwendig ein Umzug innerhalb einer Stadt oder eines Landes ist, dann kann man sich vorstellen, wie kompliziert ein Zuzug mit Familie vom Ausland nach Deutschland ist.

Gewöhnlich wird rund drei Monate, bevor der Mitarbeiter in Mitteldeutschland seine Arbeit beginnt, mit dem Relocater abgesprochen, welche Wünsche umgesetzt werden müssen und welche Zeitabfolgen notwendig sind.

Das Hauptziel ist, dass die hochqualifizierten Führungskräfte so wenig wie möglich mit den administrativen Notwendigkeiten beschäftigt sind, sondern ihr Wissen dem jeweiligen Unternehmen schnellstmöglich zur Verfügung stellen. Für die gesamten Verwaltungsabläufe (Ausländeramt, Einwohnermeldeamt, Fahrerlaubnisbehörde, Bank, Versicherung, Schule, Kindergarten, usw.) trägt der Relocater die Verantwortung und muss zeitgenau die Abläufe organisieren.

FP: Ein Umzug ins Ausland ist ja nicht ohne – der Großteil Ihrer Klientel wird Familie haben. Inwieweit beeinflusst der Ehepartner eine solche Entscheidung?

CHN: In der Regel wird die Entscheidung, im Ausland zu arbeiten, von den Ehepartnern gemeinsam getroffen. Beide wissen, worauf man sich einlässt.

Erfahrungsgemäß sehen die deutschen Expatriates-Zahlen vereinfacht dargestellt so aus:

Von 100 Mitarbeitern, die sich prinzipiell bereit erklären für einige Jahre im Ausland zu arbeiten, sagen fast die Hälfte wieder ab, wenn sie sich mit dem Ehepartner, der Familie oder Freunden mit dem Thema intensiv auseinander gesetzt haben.

Ungefähr ein Viertel der willigen Personen nehmen vom Vertrag Abstand, nachdem sie mit ihrem Partner eine Schnupperreise ins Entsendungsland unternehmen konnten. Von den Expatriates, die die Arbeit im Ausland beginnen, kehren weniger als die Hälfte aus den unterschiedlichsten Gründen vorzeitig in die Heimat zurück; meist nach einem Jahr. Die Übrigen erfüllen ihre Vertragspflichten, wobei davon einige ihre Entsendungszeit um einige Monate bis 2 Jahre verlängern.

Aber nur wenige sind “Wiederholungstäter“, die nach der Rückkehr in die Heimat erneut ins Ausland gehen. Zur absoluten Ausnahme gehören die “Mehrfachwiederholungstäter“, die von Einsatz zu Einsatz und von Land zu Land ziehen.

Für mich ist es immer spannend zu erleben, ob ich einen “Neuling“, einen “Wiederholungstäter“ oder einen “Mehrfachwiederholungstäter“ als Kunden bekomme.

Die Neulinge stellen die ungewöhnlichsten Fragen. Dadurch wird es für mich nie langweilig, weil man immer nach den richtigen Antworten suchen muss. Im Gegensatz dazu ist die Arbeit mit “Mehrfachwiederholungstätern“ fast kinderleicht.

Diese Menschen fragen nicht, warum muss ich dieses oder jenes Dokument vorlegen, sondern ziehen meist alle möglichen Nachweise, vom Schulzeugnis der Kinder bis zum internationalen Hundepass, aus ihren Aktenmappen. Durch ihre globale Tätigkeit sind sie die ungewöhnlichsten Anforderungen der unterschiedlichsten Staaten gewöhnt.

FP: Worauf legen Ihre Kunden bei einem Umzug nach Mitteldeutschland am meisten Wert?

CHN: Der Schwerpunkt liegt eindeutig bei der Suche nach der richtigen Wohnung oder dem gewünschten Haus.

Wer weltweit unterwegs ist, der lernt verschiedene Wohnvarianten ausreichend kennen. REALDOMUS versucht, zusammen mit seinen Maklern, die Wünsche und Bedürfnisse der Kunden so gut wie möglich zu erfüllen. Hier gibt es zwei gegensätzliche Erlebniskategorien. Wenn der Kunde aus einem Land wie z.B. Südafrika kommt, dann ist dort eine Wohnfläche von 300 qm völlig normal. Kommt jemand aus Japan, können schon 100 qm sehr groß sein.

Jetzt liegt es im Geschick von REALDOMUS und den Maklern, die persönlichen Vorstellungen an die örtlichen Gegebenheiten anzupassen. Glücklicherweise ist Leipzig in diesem Punkt noch gut aufgestellt und wir finden für die Kunden das gewünschte Domizil.

Bei Familien mit Kindern gibt es eine andere Priorität. Die Kunden möchten zuerst wissen, wie das Schulsystem funktioniert und ob es gravierende Unterschiede zwischen staatlichen und privaten Bildungseinrichtungen gibt. Deshalb sind hier umfangreiche Beratungen und Besichtigungen an der Tagesordnung.

Sobald eine passende Schule bzw. Kindergarten gefunden wurde, wird mit der Wohnungssuche im Umfeld dieser Lernzentren begonnen.

FP: Sind – wenn Sie männliche Fachkräfte in die mitteldeutsche Region holen – auch deren Ehepartner berufstätig oder dominiert hier eher das klassische Modell, dass die Frau für Kinder und Haus zuständig und somit nicht beruflich tätig ist?

CHN: Die Kunden von REALDOMUS, sowohl Mann als auch Frau, sprechen meist zwei Fremdsprachen, besitzen fast immer einen Hochschulabschluss und zeigen eine sehr hohe Integrationsbereitschaft.

Besonders Menschen, die eine abendländische Erziehung genossen haben, sind von gegenseitiger Achtung und Wertschätzung geprägt und somit in kurzer Zeit ein fester Bestandteil unserer Gesellschaft. Deshalb ist es Normalität, dass die Ehefrauen oder die Ehemänner, die den Part der Kindererziehung übernommen haben, sich zuerst um den Nachwuchs (Eingliederung in den Kindergarten oder die Schule) kümmern und dann den Aufbau des Haushaltes voranbringen.

Erfahrungsgemäß ist eine Familie nach drei bis sechs Monaten in der Alltagsroutine angekommen.

Ab diesem Zeitpunkt suchen sich die meisten Partner dann eine Tätigkeit. Diese kann eine temporäre Anstellung oder auch karitativer Natur sein.

FP: Was schätzt Ihre Klientel an Deutschland und gibt es auch Dinge, die als irritierend oder belustigend angesehen werden – können Sie hier aus dem Nähkästchen plaudern?

CHN: Ich betreute einmal zwei indische Ingenieure, die mir nach 3 Monaten Aufenthalt in Leipzig erklärt haben, warum Deutschland so ein reiches Land ist. Für diese beiden jungen Männer stand nach ihren eigenen Überlegungen fest, Deutschland ist so wohlhabend weil alles genau geregelt ist und jeder weiß, was er zu tun hat.

Einer brachte noch als Beispiel unsere Disziplin sowie Ordnung im Allgemeinen und die im Straßenverkehr.

Für ihn war es in der Anfangszeit absolut unverständlich, warum hier nicht ständig gehupt wird und alle spurgetreu fahren. Nachdem er hier ein halbes Jahr unfallfrei fuhr, war er zum Jahresurlaub in Indien. Im Anschluss sagte er mir, dass das Autofahren in seiner Heimat viel zu nervenaufreibend ist; dies war ihm erst nach diesem Kurzbesuch in Indien klar geworden.

Ein weiteres Beispiel war eine französische Familie, wobei die Ehefrau amerikanische Wurzeln hatte. Dieses Ehepaar hatte drei Kinder, die in Frankreich, England und Deutschland geboren wurden. Die Familie lebte rund 5 Jahre in Leipzig und nutzte die Stadt als Basis zur Erkundung von Mitteleuropa. Vor der Abreise aus Deutschland sagte mir die Frau bei der Schlüsselübergabe mit einem wehmütigen Blick auf das Haus, dass sie hier die schönsten Jahre ihres Lebens verbracht hatte. Dies von einem Menschen zu hören, der fast die ganze Welt kennt, ist schon beachtenswert.

Dann unterstützte ich noch einen Japaner, der war von seinem Unternehmen so gut auf Deutschland vorbereitet worden, dass er mich fragte: „Können Sie mir bitte die Mülltrennung in Leipzig genau erklären, denn ich möchte nichts falsch machen!“ Von Europäern bin ich solche Fragen gewohnt, bei diesem Japaner war ich echt erstaunt und habe ihm dann selbstverständlich alles erläutert.

FP: Wie sieht ein normaler Arbeitstag bei Ihnen aus?

CHN: Bei mir klingelt in der Regel kurz vor 6 Uhr der Wecker. Gegen halb acht beginnt mein Arbeitstag im Büro. Wenn ich Termine mit Kunden habe, bin ich gewöhnlich ganztägig mit diesen auf Ämtern unterwegs oder besichtige mit ihnen Wohnungen. Es gibt aber auch Zeiten, da muss ich am Wochenende oder an Feiertagen Kunden betreuen, aber dies ist nicht so häufig.

Bei einer guten Planung kann alles im Interesse der Kunden wohldosiert organisiert werden.

FP: Welche Entwicklung prophezeien Sie dem Großraum Halle-Leipzig?

CHN: Leipzig hat das Potential, innerhalb einer Generation zu einer prosperierenden Millionenstadt zu wachsen und das pulsierende Herz von Mitteldeutschland zu werden. Die Voraussetzungen dafür sind äußerst günstig.

Problematisch sehe ich momentan, dass in Leipzig Öffentlicher Nahverkehr und Individualverkehr nicht paritätisch entwickelt werden. Investitionen in Kindergärten, Schulen, Hauptverkehrsstraßen und Öffentlichen Nahverkehr sind dringend dem Bevölkerungswachstum anzupassen.

Anderen Städten gelingt das aus meiner Sicht derzeit besser. Anders als heute ist in größeren Dimensionen vorausschauend zu planen und Projekte müssen rechtzeitig umgesetzt werden.

FP: Wie entspannen Sie in Ihrer Freizeit?

CHN: Freizeit ist für mich ein rares Gut. Deshalb versuche ich, so viel wie möglich Zeit mit meiner Familie zu verbringen.

Außerdem beschäftige ich mich seit fast 40 Jahren mit Ahnenforschung. Mittlerweile kann ich durch intensive Quellenanalyse unsere Familiengeschichte bis ins 16.Jahrhundert sehr detailreich zurückverfolgen. Bei dieser Gelegenheit brachte ich in Erfahrung, dass ein Vorfahr von mir als Lokator mehrere Bauernsippen bei der Ansiedlung in Böhmen unterstützt hat.

Insofern schließt sich der Kreis, denn meine Arbeit dient ebenfalls Menschen, die sich hier eine neue Heimat aufbauen, wenn auch nur zeitweilig.

www.realdomus.de

Bildnachweis:  © CHristoph Neumann

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