Medial gefeiert und wohl doch überschätzt? SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz ist in aller Munde.

Wer die unzähligen Berichte über seine Kandidatur in den letzten Wochen verfolgte, war irritiert und verwundert, wie jubelnd die Medien ihn mit Lob überschütteten.

Mancher Ex-DDR-Bürger fühlte sich gar in die geteilte Zeit des Landes zurück versetzt, als Politiker ohne Wenn und Aber kritiklos von der Presse bejubelt wurden.

Dass sich Schulz zudem auf Parteiveranstaltungen selbst feiern lässt, wie ein Rockstar („ruft doch mal Martin“), mutet ebenso verstörend an und ist hochpeinlich noch dazu!

So richtig nimmt man ihm – der bislang auf seinem EU-Posten nicht wirklich mit der Realität der Wählerinnen und Wähler in Deutschland konfrontiert gewesen sein dürfte – seine schwülstigen Reden über soziale Gerechtigkeit und dass er enttäuschte Wähler wieder (zurück) gewinnen möchte, nicht ab.

Es wirkt gestelzt und aufgesetzt,  wenn Großverdiener  Schulz sich als Anführer einer neuen Stimmung im Lande geriert, die seine Partei und willige Medien sogar noch – völlig realitätsfern! – als „Aufbruchstimmung“ bezeichnen.

Inzwischen folgen dem wochenlangen, irrsinnigen Schulz-Hype nunmehr auch kritische Berichte. Wie die von seiner Zeit als Bürgermeister in Würselen, als er dort viel politisches Porzellan zerschlagen hat.

Auch der SPIEGEL hat sich inzwischen scheinbar auf seinen journalistischen Auftrag besonnen und publiziert in Form einer Kolumne von Jan Fleischhauer folgendes:

„Irgendetwas stimmt mit Schulz nicht, davon bin ich mittlerweile überzeugt. Ich werde immer skeptisch bei Menschen, die plötzlich Fleischverzicht predigen, obwohl sie bis eben noch Fleischfachverkäufer waren.“

Da trifft es der SPIEGEL tatsächlich mal auf den Kopf: mit Schulz stimmt was nicht.

Und nicht nur irgendwas, sondern verdammt vieles nicht. Vor allem seine Ahnungslosigkeit in Bezug auf das Leben vieler Bürger, denen er jetzt mit sozialer Gerechtigkeit kommen will, macht fassungslos.

Denn Schulz ist vor allem bei einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe – den Alleinerziehenden und prekär verdienenden Menschen im Lande – sowas von gar nicht im Bild, dass einem schwindlig werden kann!

Diesen Eindruck hat man zumindest, wenn man Brunhild Fischer (im Bild) zuhört, die seit über 20 Jahren Geschäftsführerin des SHIA e. V. Landesfamilienverband Sachsen und zudem Musikerin ist.

Fischer setzt sich mit ihrem Team seit Jahrzehnten für alleinerziehende und finanziell schwache Ein- und Zwei-Eltern-Familien ein – trotz der engagierten Arbeit mit nur mäßigem Erfolg. Denn es ist eine Tatsache, dass Menschen, die ein oder mehrere Kinder allein großziehen, von der Politik vernachlässigt werden – unabhängig davon, wer regiert.

Damit nicht genug, werfen manche Politiker diesen Leuten noch zusätzliche Knüppel zwischen die Beine – so erst kürzlich geschehen mit dem Unterhaltsvorschussgesetz, das Familienministerin Schwesig als Erfolg verkauft, obwohl die neue Regelung ein einziger Flop ist.

Realitätsferne Entscheidungen, wohin man schaut und die nicht im Ansatz nachzuvollziehen sind.

Und es sieht ganz danach aus, dass sich daran auch nichts ändert, wenn Schulz zum Kanzler gekürt wird. Seine Kenntnisse über viele Dinge, mit denen die Wählerschicht, die er sich anschickt zu erreichen, im Alltag konfrontiert ist, sind – gelinde gesagt – haarsträubend.

Diesen Eindruck gewann die Verbandsvorsitzende Fischer, als sie Martin Schulz im Rahmen eines Gespräches, das der Kanzlerkandidat in kleiner Runde kürzlich in Leipzig führte, traf.

Wir haben Sie dazu befragt.

FP:  Du hattest vor kurzem die Möglichkeit, Kanzlerkandidat Schulz in einer kleinen Runde zu treffen und Deine Anliegen zu kommunizieren. Was konntest Du ihm übermitteln?

BF: Es waren vor allem zwei Aspekte, die ich zum einen als Interessenvertreterin alleinerziehender Familien und zum anderen als Interessenvertreterin prekär lebender Künstlerinnen thematisierte.

Erstens: Die Armut, Stigmatisierung und Ausgrenzung der alleinerziehenden Frauen in allen gesellschaftlichen Bereichen in der Bundesrepublik Deutschland und die daraus resultierende Kinderarmut und deren Ausgrenzung von Teilhabe vor allem im Kultur-, Freizeit- und Bildungsbereich.

Und die familien- und steuerpolitischen Maßnahmen der aktuellen Bundesregierung, die nicht zur Verbesserung der Lebenssituation von Alleinerziehenden und ihren Kindern beigetragen haben, wie – unter anderem – zum Beispiel der neue Unterhaltsvorschuss und seine Konsequenzlosigkeit für die armen Kinder in alleinerziehenden Haushalten im SGBII-Bezug, da dessen Anrechnung auf das ALGII erfolgt.

Und auch die sämtlichen aus der Arbeitsmarktgesetzgebung resultierenden Folgen der aktuellen Armut, wie der Altersarmut von Frauen durch Teilzeitbeschäftigung ohne Lohnausgleich und die Beschäftigung von Frauen im Niedriglohnbereich sowie in Mini- und Midijobs.

Das zweite Thema war die prekäre Arbeits- und Lebenssituation von Künstler_innen in Deutschland und deren soziale Sicherungssystheme, die für die Künstler_innen mit prekärem Einkommen – und das haben leider fast alle! – nicht einmal erreichbar sind!

In beiden Themenbereichen waren meine Fragen, ob es diesbezüglich Maßnahmen und Handlungskataloge gebe, um zukünftig diese prekären und menschenverachtenden Zustände und ihre so folgenreichen negative Konsequenzen für Frauen und Kinder zu beenden.

Zu guter Letzt stellte ich noch eine sehr einfach zu beantwortende Frage zur Geschlechtergerechtigkeit; wie Herr Schulz zur paritätischen Besetzung von politischen wie wirtschaftlichen Gremien stehe.

FP: Hast Du den Eindruck, dass Herr Schulz bei den Belangen für Alleinerziehende und einkommensschwache Familien im Thema steckt?

BF: Leider waren die Antworten auf die wirtschafts- und arbeitsmarktpolitisch abzielenden Fragen in Bezug auf alleinerziehende und alle anderen Familien absolut unklar!

Auch erfolgt wohl keine Analyse bezüglich der sozial- und gesellschaftspolitischen Themen von Armut und Ausgrenzung vieler Personengruppen in Deutschland….Daneben wirkte der Umstand, dass Herr Schulz keine Ahnung davon hat, dass alle staatlichen Transfers vom ALGII – unabhängig der Arbeitssitutaion – abgezogen werden, als jemand, der die seit 2005 begangenen Fehler der SPD-Regierung  in der Gesetzgebung bezüglich AGENDA 2010 beheben will, unprofessionell und inhaltlich äußerst schwach.

FP: Denkst Du – nach dem Eindruck, den Du Dir persönlich von Martin Schulz verschaffen konntest – dass er als Kanzler eine Politik vertreten würde, die endlich auch Alleinerziehenden und finanziell schwachen Familien zugutekommt?

BF: Leider kann ich mir Verbesserungen für Alleinerziehende und ihre Kinder sowie für die vielen, vielen anderen  finanziell schlecht gestellten Familien oder auch die Künstler_innen aktuell mit ihm überhaupt nicht vorstellen, denn allein schon die Frage nach der Parität in politischen wie gesellschaftlichen Gremien hat er nicht mit einem eindeutigen JA beantwortet.

Wäre diese jedoch die allererste Voraussetzung und der Grundbaustein für eine in allen Bereichen gendergerechte, alle Menschen berücksichtigende und mitnehmende Politik, ob arbeitsmarkt- und steuer- oder sozial- und familienpolitisch!

Dazu noch die vorhandene Unkenntnis über den Abzug sämtlicher Transferleistungen bei den 3,6 Millionen Bedarfsgemeinschaften bzw. den 4,4 Millionen im ALGII-Bezug lebenden Menschen in Deutschland, von denen ein Kind durchschnittlich 300€ im Monat zur Verfügung hat.

Das ist für das Kind ein monatlicher finanzieller Betrag den Herr Schulz circa tagtäglich vom EU-Parlament überwiesen bekommen hat…! Insofern kann man sicherlich nicht davon ausgehen, dass ein tatsächliches Wissen über den Lebensalltag und die Lebenswirklichkeiten dieser Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen in Deutschland vorhanden ist.

Als SPD-Kanzlerkandidat sollte man mit diesem – die Bundesrepublik so schwer prägenden bzw. spaltenden und ebenso auch aktuellsten – Thema der SPD vollumfänglich und sehr sorgfältig beschäftigt sein, um in den persönlichen Gesprächen entsprechend achtungs-, verantwortungsvoll und wissend mit den betroffenen Menschen umgehen zu können.

FP: Die SPD, der Schulz angehört, ist ja jetzt schon durch die Regierungskoalition am regieren. Eigentlich könnte die Partei doch auch JETZT und HIER das umsetzen, von dem Schulz ständig spricht, nämlich soziale Gerechtigkeit schaffen. Warum tut sich da für Ein- und Zwei-Eltern-Familien so wenig – Deiner Meinung nach?

BF: Das ist auch die Frage, die sich unser Verband SHIA e.V. jeden Tag von neuem stellt! Mit absolutem Unverständnis nehmen wir täglich zur Kenntnis, dass trotz unserer Anregungen und Vorschläge und unserer auf Kenntnissen basierenden Forderungen an die Bundespolitik, alle durch die beiden – der SPD angehörenden Bundesministerinnen – Familienministerin Manuela Schwesig und Arbeitsministerin Andrea Nahles –  angeregten gesetzlichen Maßnahmen, die Lebenssituation alleinerziehender Familien nicht verbessert wurden, sondern die gesetzlichen Rahmenbedingungen für Alleinerziehende und ihre Kinder weiterhin diskriminierende sind.

Es ist auch ethisch, moralisch und politisch überhaupt nicht nachvollziehbar, wie es zu solchen Entscheidungen kommen kann.

Laut Herrn Schulz arbeitet  seine Partei aktuell – gemeinsam mit Frau Schwesig – an einem Maßnahmenkatalog für eine gerechte Gesetzgebung in allen Politikbereichen für alleinerziehende Familien, für das Wahlprogramm der SPD bzw. – falls wieder gewählt – für die kommende Legislatur.

An diesem wollen wir als Interessenvertreterin von Alleinerziehenden und ihren Kindern selbstverständlich beteiligt werden und mitarbeiten, einen entsprechenden Brief/Antrag haben wir bereits an Frau Familienministerin Schwesig verfasst und sehen nun der Antwort entgegen.

Auch haben wir das Wahlprogramm auf alleinerziehendspezifische und familienpolitisch wichtige Themen analysierende Prüfsteine verfasst, die neben dem Kanzlerkandidaten Herrn Schulz auch allen Politiker_innen und Familien mit an die Hand gegeben wurden und werden.

An deren Beantwortung ist zu ermessen, ob die zukünftige Politik, Kanzler und Politiker_innen, auch familien- und alleinerziehendgerecht handeln wird.

Bildnachweis: spd.de – Copyright: Susie Knoll

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