Areal Muldestausee SchlaitzEine riesige Mondlandschaft, kreischende Bagger und rundum durch das nahe Bitterfeld eine Natur, die diesen Namen nicht verdient: So präsentierte sich noch in den 70er Jahren der heutige Muldestausee. Der ehemalige Tagebau wurde allerdings schon zu DDR-Zeiten geflutet und wurde nach der Tagebau-Zeit zum Naherholungsgebiet. Baden war in dem See zwar mit Vorsicht zu genießen, doch das Seeflair bescherte den Menschen aus Bitterfeld und den umliegenden Dörfern zumindest ein Fünkchen mehr Lebensqualität. Schnell kamen auch von außerhalb Urlauber oder Wochenendler, die am Muldestausee zelteten oder sich sogar ein festes Wochenendhaus bauten. Der Mittelpunkt des See-Ufers waren – etwas höher gelegen – eine Gaststätte und eine offene, gemauerte Bühne. Zu Mauerzeiten wurde hier jenes Flair geboten, das älteren DDR-Bürgern noch heute (N)Ostalgie-Gefühle verschafft: Fassbrause, Bockwurst und immer wieder Kultur.

Revitalisierung gelungen: Der Muldestausee und seine Umgebung im sachsen-anhaltinischen Schlaitz

Auf der Bühne traten Schlagersänger ebenso auf wie einheimische Chöre. Unterhaltung wurde zu Honeckers Zeiten bekanntlich groß geschrieben und im Rückblick stellt man fest, dass mancher Künstler von damals schon zu DDR-Zeiten mehr auf dem Kasten hatte, als UnterHALTUNGs-Stars der heutigen BRD. Das aber nur am Rande. Viel interessanter ist ein Blick auf den heutigen Zustand der Landschaft rund um den Muldestausee. Denn da hat sich einiges getan.

War die Stadt Bitterfeld zu DDR-Zeiten die dreckigste Stadt Europas, ist das Gebiet heute mit dem Goitzsche-See längst ein Erholungsort. Die Werke (CKB und ORWO – Chemiekombinat Bitterfeld und ORWO Film) sind alle ab- oder zurückgebaut, Glücksritter aus dem Westen haben hier nach der Wende das große Geld – oft gemeinsam mit einstigen roten Socken – gemacht und heute erinnert nichts mehr an diese Schlaitz am Muldestauseedreckige Zeit, in der Einwohner mit manchem Chlorausausbruch aus dem nahen CKB leben mussten.

Nahe Bitterfeld hat sich das charmante Buchdorf Mühlbeck mit dem geschriebenen Wort einen Namen gemacht und wo einst in der erwähnten Mondlandschaft Bagger Tag und Nacht quietschten, sprießt heute herrliche Natur.

Allerdings fokussieren sich die meisten Tourismus- und Freizeitaktivitäten tatsächlich auf den Goitzschesee in Bitterfeld, weshalb der Muldestausee für viele nur auf den zweiten Blick interessant ist. Denn sein Ufer kann lange nicht mit dem tollen Goitzschesee mithalten. Dafür tummeln sich allerdings auch so gut wie nie verhüllte Großfamilien in seinen Gefilden, die nämlich jetzt auch in Bitterfeld – seit dem Irrsinn von Frau M. – “wie selbstverständlich” etabliert sind. Es soll Leute geben, die seinerzeit aus dem chemieverpesteten Ort weggezogen sind und ihn heute kaum mehr wiedererkennen.

Kein Wunder: Im einst wunderschönen Bitterfelder Park, in dem ehemalige Bewohner mit den Eltern zu DDR-Zeiten Kastanien sammelten, wandeln nun von Kopf bis Fuß verhüllte Frauen, wie man sie aus Kabul und anderen fernen Orten kennt.

Ostalgie mit besonderem Flair

Aber zurück zum Muldestausee, dem sich das Dörfchen Schlaitz angliedert. Hier kann man eintauchen in eine Melange aus Ostalgie und einer revitalisierten Landschaft, die mit einem ganz besonderen Flair aufwartet. Neu entstanden ist ein Naturhaus am Seeufer, das vor allem für Kinder gedacht ist und in dem regelmäßig Veranstaltungen mit Bezug zur Flora und Fauna rund um den Muldestausee stattfinden. Auch die Wochenendhäuser aus DDR-Zeiten stehen noch – natürlich fast alle aufgehübscht! Neu sind die nicht ganz so passenden, hingeklotzten Bauhausstil-Einfamilienhäuser, die mit ihrer schneeweißen Fassade und den grauen Zäunen manchmal wie Fremdkörper in der gewachsenen Idylle wirken. Einen gewissen Charme haben sie trotzdem und die Bewohner dürfen sich glücklich schätzen, an so einem attraktiven Ort, der zudem mit viel Wald aufwartet, wohnen zu dürfen.

MuldestauseeDer Campingplatz, die Gaststätte, der zentrale Platz mit Bühne und das höher gelegene Ufer-Areal nennen sich heute “Heide-Camp” und bieten neben Campingbereichen auch Wohnmobilstellplätze, feste Bungalows und sogar niedliche Fasshäuser für Übernachtungen an. Die Speise-Lokalität verströmt von außen noch immer DDR-Charme, ebenso wie die in der Nebensaison verwaiste Bühne und die Lampen unten am See. Dennoch ist dieser Ort ein Naherholungsgebiet mit Mehrwert. Die über die Jahre gewachsene Natur ist einfach nur herrlich und der gemächliche Wellengang des einstigen Tagebaus beruhigend. Mittlerweile gibt es sogar einen Ruderverein – vor Jahrzehnten noch undenkbar!

Geschichte des einstigen Tagebaus wird anschaulich dargestellt

Dass das ganze Gebiet einst ein Tagebau-Schwerpunkt war, wird nicht augeblendet und mit Loks und Gefährten von damals anschaulich präsentiert. Etliche Schautafeln erzählen von der Geschichte des Muldestausees und auch den Tier- und Pflanzenarten, die mit der Revitalisierung des Muldestausees hier heimisch wurden, sind viele Lehrtafeln gewidmet. Deshalb ist der Muldestausee bei Bitterfeld, mit seinem von Freizeit und Naherholung geprägten Ufer, am Tor zur Dübener Heide, eine ganz klare Empfehlung. Für (O)stalgiker allemal.

Wer hierher kommt, dem sei außerdem das nahe Ferropolis ebenso ans Herz gelegt, wie das in der Nähe liegende Wald- und Seeresort Gröbers – auch ein ehemaliger Tagebau. In Ferropolis sieht man die damals zum Einsatz gekommenen Stahlriesen übrigens ganz nah und kann die Bagger von damals sogar begehen. Wer einen solchen Trip auch kulinarisch mit Ossi-Flair abrunden will, findet in den Weiten der Dübener Heide – in den Restaurants, die es zumeist damals schon gab – fast überall das gute alte Würzfleisch. Bei Kennern DIE DDR-Vorspeise schlechthin.

Es lohnt sich also, die Region rund um die ehemals dreckigste Stadt Europas zu erkunden. In einer Eigenschaft, die seinerzeit undenkbar war: Als Urlauber oder Ausflügler. Viel Spaß!

Bildnachweis: privat
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